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HORNER Magazin | März-April 2015

HORNER Magazin | März - April 201558 BEGLEITET IN DER NEUEN HEIMAT chüchtern sitzt der zarte Junge aus Soma- lia auf dem Sofa neben Inge Hajen. Es ist Montagnachmittag – Deutschunterricht! Vorher sammelte sie alle ein, die Lust hatten, jetzt mit ihr zusammen Deutsch zu lernen. Es sind viele gekommen: Bei ihr sitzen drei junge Männer, im Nebenraum sind es sogar sechs. Heute geht es bei ihr zunächst um Nahrungs- mittel. „Was isst du gerne?“ fragt sie. Nach einer kurzen Pause antwortet ein Junge aus Guinea mit Nachdruck „Kartoffeln!“. Das Eis ist gebro- chen und es geht richtig los: Auf dem Tisch lie- gen Kärtchen mit Abbildungen von Obst, Gemüse, Brot. Sie werden genannt, Begriffe werden ausgesprochen und aufgeschrieben, wie- derholt. Konzentriert nimmt der Junge aus So- malia, der zum ersten Mal zum Deutsch- unterricht gekommen ist, alles auf. Am Ende hat er neben Lebensmitteln auch gelernt, zum Frisör zu gehen. Und er kennt alles, was zum Kopf ge- hört: Augen, Ohren, Nase... Am nächsten Vormittag gibt es Deutschunter- richt mit Jakob Maess. Der Junge aus Somalia ist wieder da – und er benennt schnell und sicher alle Bestandteile des Kopfes, auf die Jakob zeigt! Es sind diese Erfolge, die das Team aus Deutsch- lehrern motiviert und in seiner Tätigkeit bestä- tigt. Begeistert berichtet man uns von dem Jun- gen aus Guinea, der erst im November mit dem Deutschunterricht begonnen hat und jetzt be- reits im Gymnasium unterrichtet werden kann. Es war im Juni letzten Jahres, als Inge Hajen und Hildegard Vogt nach dem Besuch vieler runder Tische ohne konkrete Ergebnisse be- schlossen, einfach mal anzufangen – mit dem Deutschunterricht für die maximal 40 jungen Männer im ION Berckstraße. Doch die Erfah- rungen fehlten, wie das Thema am besten an- gegangen werden könnte. Inge Hajen sprüht vor Energie. So war es früher in Borgfeld und in der Schule Carl-Schurz-Straße, wo sie viele Jahre tätig war. So ist es in jeder Alltagssitua- tion. Zusammen mit Hildegard Vogt, die sie schon lange kennt und die ebenfalls lange als Lehrerin tätig war (Englisch und Französisch), waren sie die ersten ehrenamtlichen Deutsch- lehrer im ION. Jetzt stellte sich aber die Frage, wie dieser Unterricht mit den jungen Männern gestaltet werden könnte, die so unterschiedlich sind... Brunhild Christoph, eine der beiden Leiterin- nen des ION, erklärt uns dazu einige Hinter- Deutschunterricht und mehr durch ehrenamtliche Helfer im ION Berckstraße, der Inobhutnahme für minderjährige unbegleitete männliche Flüchtlinge im Stadtteil Horn gründe. So erfahren wir, dass die jungen Män- ner aus Westafrika, Syrien, Afghanistan kom- men, unterschiedliche Sprachen sprechen, unterschiedlichste Bildungsniveaus besitzen, vom Analphabeten bis zum Gymnasiasten ist alles dabei – doch jeder von ihnen hat eine lange Reise hinter sich und vieles, teilweise un- beschreiblich Schreckliches, erlebt. „Die Struk- turen, die sie in ihrer Heimat hatten, sind auf dem Fluchtweg verloren gegangen. Hier im ION beginnt der Prozess, langsam in unsere Strukturen hineinzuwachsen und diese zu ler- nen und zu übernehmen.“ Im ION, das eine Jugendhilfe-Einrichtung ist (die Regularien des Asylrechts werden erst mit Volljährigkeit relevant), bekommen die Jungs erst einmal Sicherheit und Stabilität, die Basis für ihr Leben in der so anderen neuen Heimat. Hier beginnt das „Clearing“, der Klärungspro- zess für jeden Einzelnen: Es erfolgt die Status- ermittlung, das Meldeverfahren, die Ermittlung des Bildungsniveaus und nicht zuletzt die Prü- fung des Gesundheitszustandes. Viele der Jun- gen Männer haben physische Verletzungen, die psychischen sind schwerwiegender. Es gibt Schlafstörungen, Unsicherheit, Ängste, Ein- S DEUTSCHUNTERICHT FÜR FLÜCHTLINGE TEXT & FOTOS | ANKE JUCKENHÖFEL

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